Internet-Mythos


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Öffentlichkeit und verändertes Lernen durch das INTERNET – Mythos oder Realität?


Von Tahetl-Matheis Horst


An das INTERNET werden derzeit von den politischen Willensträgern in diesem Lande viele Hoffnungen geknüpft. So bestehen kaum noch Zeifel darüber, daß die wirtschaftliche Entwicklung der BRD im globalen Wettstreit davon abhängt, inwieweit die Abgänger des Bildungssystems auf die neue Technologie hin qualifiziert werden. (1)

Die Anstrengungen der Sachaufwandsträger sowie des Bildungsministeriums bei diesen Qualifizierungsvorhaben sprechen eine deutliche Sprache: Die Angst, die Entwicklung zu verschlafen ist groß. (2)

Qualifizierungsleistungen des Bildungssystems für das Beschäftigungssystem können jedoch nicht das einzige Kriterium sein, das unser Handeln als Pädagogen bestimmt. Eine Demokratie lebt von aktiver, selbstverantwortlicher und interessensgeleiteter Teilnahme der Bürger. Dem Diktat der Ökonomie bei den Qualifizierungsmaßnahmen im Bereich des INTERNET gilt es demnach Lehrphilosophien entgegenzusetzen, die der Vorbereitung auf das Handeln in demokratischen Gemeinwesen dienen. Ein wesentliches Element von Demokratie ist Öffentlichkeit, in derem aufklärerischen Ideal sich die Diskussion konstituieren soll, die erweist, was für eine Gemeinschaft wichtig und zu tun ist.

Es gilt also zu untersuchen, wie Lern-Lehrphilosophien und Öffentlichkeit in diesem Lande konstituiert sind und ob das INTERNET dazu beitragen kann, dem Ideal der Aufklärung näher zu kommen: Formen der Gestaltung von Gesellschaft zu ermöglichen, bei der alle Gesellschaftsmitglieder ein Wörtchen mitreden wollen und können.

Traditionelle Lehr-Lernphilosophien und demokratische Öffentlichkeit haben in diesen Zeiten viel gemeinsam. Das Problem von Öffentlichkeit herstellenden Massenmedien als auch von herkömmlichen Lernstrategien besteht heute darin, daß sie weitgehend eingleisige Kommunikation ermöglichen, also fast nur senden. Sie berauben den öffentlichen Dialog und die Lernsituation um ihr wesentlichstes Merkmal:

daß sie Austausch – Gespräch – sind.

Ein demokratisches Gemeinwesen braucht mehr als rezeptiven, linearen und von außen geleiteten Wissenserwerb, dessen Ergebnis zwar dann theoretisch gelernt, aber in realen Situationen nicht angewendet wird.(3) "Was wir brauchen, sind Lernende (und Lehrende), die aktiv und konstruktiv sind, die Wissen und Fertigkeiten in konkreten Situationen erwerben, die Selbststeuerung und Kooperation praktizieren.

An die Stelle der Debatte, des Forschens und Suchens, der Neugier, ist jedoch die Verkündigung getreten, während die Rückantwort der Hörer (Leser,Seher) sich in der Einbahnstraße der verkürzten oder zensierten Zuschauerreaktionenverliert oder wie beim Schüler in die vorgegebene Lernzielstruktur eingepaßt wird (4) Öffentlichkeit im Sinne von "allen zugänglich" beschränkt sich also sowohl in der Schule als auch bei den Massenmedien weitgehend auf rezeptives Aufnehmen von Information und ist keine wirklich aktive Teilnahme. (5) In den dreissiger Jahren, als der Rundfunk in Deutschland wirklich populär wurde, träumte Bertolt Brecht von der Wirkung, die ein echtes Kommunikationsmedium auf die Entfaltung von Öffentlichkeit haben könnte: " Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d.h. er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur zu hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren." (6)

Es scheint, also könne die Brechtsche Utopie nun doch noch Wirklichkeit werden:

Das INTERNET verspricht mit seinen technischen Möglichkeiten den Teil Öffentlichkeit und Lernstruktur wieder herzustellen, der dem Ideal nahe kommt – die eigene aktive Mitwirkung.

 

Im INTERNET ist eine Menge an Kommunikationsformen technisch möglich, die wirkliche INTERAKTIVITÄT versprechen. Einige dieser Möglichkeiten will ich kurz skizzieren:

In Homepages kann ich jederzeit auf Zeitungen, Artikel, dokumentierte Debatten, Nachrichten, Infos zugreifen und unmittelbar meinen Kommentar in Form einer elektronischen Mail abgeben. Auf meiner eigenen Homepage kann ich meine eigenen Interessen und Neigungen öffentlich zugänglich machen und zur Diskussion stellen.

In den Newsgroups (Schwarze Bretter) existiert ein Forum, in dem inzwischen weltweit nahezu jedes Thema diskutiert werden kann, und sei es noch so trivial. Es findet keine Wertung statt, welches Thema diskutierenswert ist das erledigt sich von selbst. Der Austausch erfolgt in Form elektronischer Mails, die automatisch an die Mitglieder eines abonnierten Forums weitergeleitet werden. Die meisten Newsgroups sind nicht moderiert und damit unzensiert.

Wer eine Livekommunikation vorzieht, kann im Internet Relay Chat (IRC) mit mehreren Teilnehmern gleichzeitig, wie bei einer Konferenzschaltung, "reden". Reden heißt derzeit noch schreiben, da der Text noch eingetippt werden muß.

Videokonferenzen stellen diesen Nachteil ab, sind im Moment allerdings noch zu teuer.

"Die Vorteile, die Interaktivität über das INTERNET für die Realisierung von Öffentlichkeit (und Lernen, d.Vf.) bereithält, liegen auf der Hand. Die Merkmale von Öffentlichkeit, die aus den Vorbildern des antiken Marktplatzes und den Debattierzirkeln der Aufklärung gewonnen wurden, lassen sich im INTERNET technisch umgesetzt wiederfinden, zum Teil sogar noch um einige zusätzliche Feinheiten (z.B. Ausflösung des Raumes als Bedingung für Kommunikation, d.Vf.) bereichert." (7)

 

Die Habermasschen Kriterien für Öffentlichkeit finden sich im INTERNET weitgehend verwirklicht:

 

  • Gleichheit
    Prinzipiell kann jeder am Netzdiskurs teilnehmen. Aufgrund des schulischen Angebots ist sogar der Preis kein unüberwindliches Selektionskriterium mehr. Wie Untersuchungen in USA gezeigt haben, verschwinden sogar Unterschiede ethnischer Zugehörigkeit oder in Bezug auf Geschlecht und Schichtzugehörigkeit (8)
  • Alles ist Gegenstand des Diskurses (9)
  • Unabgeschlossenheit
    Das Internet steht erst am Anfang seiner Blüte. Momentan gibt es ungefähr 70-80 Millionen Nutzer. Es spicht nichts dagegen, daß sich die ganze Welt vernetzt.

 

Ein weiterer Gesichtspunkt spricht für das INTERNET: Angehörige unterer Gesellschaftsschichten und andere Gegenöffentlichkeiten bekommen eine kostengünstige und effektive Plattform, sich gegen die herrschende Meinung Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Sowohl bei den Geschehnissen in Tschetschenien, Jugoslawien und China war das INTERNET oft das einzige Medium, über das verlässliche und unzensierte Informationen zu erhalten waren. "Auch damit ist ein Teil der Öffentlichkeitnmöglich gemacht, die im Ideal der Aufklärung inbegriffen ist." (10)

Besteht also wirklich Grund zur Euphorie?

Betrachten wir das Ideal der Gleichheit im INTERNET genauer, dann gibt es in der Realität sicherlich Ausgrenzungen und Diskriminierungen:

Englischkenntnisse, Geschicklichkeit im Tippen, Hard- und Softwarekenntnisse und Sprachwitz differenzieren bereits in erheblichen Maße. "Nicht unterschätzen sollte man die Macht der Programmierer, die das bestimmen, was technisch möglich ist ...."(11)

Dehnt man diese Betrachtungsweise weiter aus, dann muß man feststellen, daß ganze Kontinente nicht mithalten können, weil sowohl die technische Infrastruktur als auch der Bildungsstand der Bevölkerung nicht mit den Industrieländern konkurrieren können.(12)

Ein weiterer Kritikpunkt ist das Kriterium der Unabgeschlossenheit. Das INTERNET ist jetzt schon so unübersichtlich, daß bei einer Steigerung der Teilnehmer NEWS nicht mehr gelesen werden, Homepages nicht mehr betrachtet werden und nur noch die Informationen sich aus der Masse abheben, deren grafische Aufmachung Aufmerksamkeit erregt. Das würde bedeuten, daß der Inhalt immer unwichtiger wird, die Verpackung dominiert und die Netzlast den kritischen Punkt übersteigt.

 

Fazit

 Das INTERNET birgt also potentiell die technischen Möglichkeiten, uns dem Ideal der Öffentlichkeit und kontruktivistischer Lernphilosophien (13) näherzubringen. Das ist eine entscheidende Verbesserung, doch stellt sich die Lust am Lernen und die Freude am Diskurs nicht von selbst her:

"Nur wenn Menschen ein Interesse haben, sich in Diskussionen einzumischen und für die Belange einer Gemeinschaft aktiv zu werden, entsteht Öffentlichkeit (und ein Forum für eine problem- und teamorientierte Lehr-Lernphilosophie, d.Vf.), die für eine lebendige Demokratie nötig ist. Das Wesentliche ist das Interesse – daran wird auch das INTERNET nichts ändern. Bequemlichkeit war noch nie der Grund für Engagement." (14)

Dies gilt natürlich nicht nur für unsere Klientel, sondern auch für uns. Wenn wir das INTERNET den Technokraten und Ökonomen überlassen, dann wird das Bildungssystem zum Zulieferer für diese gesellschaftlichen Interessen degenerieren. Wir müssen uns einmischen, Strukturen setzen, sonst tun dies andere. Der ökonomischen Kraft und technologischen Kompetenz können wir unsere Kreativität, unser Interesse am Menschen und unsere kritische Kompetenz entgegensetzen. Nur dann kommen Bildung und INTERNET zusammen.

 


(1) Inwieweit diese Annahme mit der Realität übereinstimmt, wird kaum noch geprüft. Es scheint, als würde die Dynamik der Entwicklung wissenschaftliche Untersuchungen über Sinn oder Unsinn einer Maßnahme obselet machen. Die Kraft des Faktischen bestimmt die Entwicklung.

(2) Viele Indizien sprechen allerdings dafür, daß uns viele Länder sowohl in der Entwicklung der Infrastruktur als auch bei den Bildungsanstrengungen enteilt sind.

(3) " Erwartet werden vielmehr Handlungskompetenz und die Fähigkeit, Gelerntes flexibel zu nutzen. Gefragt sind ...Schlüsselqualifikationen wie die Fähigkeit zu selbstnändigem Lernen sowie komunikative und kooperative Fertigkeiten." , vgl. hierzu: G.Reinmann-Rohtmeier/H.Mandl, in: K.A. Geißler, Handbuch Personalentwicklung und Training, Köln 1977

(4) Frontalunterricht, Auswendiglernen, strenge Fächerabgrenzung und v.a. ständiger Prüfungsstreß wirken sich negativ auf die Lernmotivation der Kinder u. Jugendlichen aus; vgl. hierzu: G.Reinmann-Rohtmeier/H.Mandl, a.a.O.

(5) Vgl. Rösler A., Bequeme Einmischung.Internet und Öffentlichkeit, in: Mythos Internet, Hrsg. Stefan Müncker und Alexander Rösler, S. 179, Frankfurt 1997

(6) Rösler A., S. 179f, a.a.O.

(7) Rösler, A.,a.a.O., S.182

(8) Vgl. Rösler, a.a.O., S.183;"Die Tatsache daß der andere nur über den Text existiert, den wir auf unserem Bildschirm von ihm sehen, macht uns wohl geneigter, ihn oder sie als ebenbürtig zu sehen. Es scheint, als mache der Bildschirm alle gleich.", S.183

(9) Siehe hierzu die Vielfalt der NEWSGROUPS und IRC-Kanäle

(10) Rösler, a.a.O., S.185

(11) Rösler, a.a.O., S.186

(12) Ist nicht das Ideal der Gleichheit angesichts der realen Welt ein utopisches Postulat, das zum einem unerfüllbar scheint und zum anderen oft genug als Nivellierung auf niedrigem Niveau mißverstanden wurde?

(13) Vgl. G.Reinmann-Rohtmeier/H.Mandl, a.a.O.

(14) Rösler, a.a.O., S.192



 






 
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